Herne, den 8. Mai 1998

Liebe Traudel! Inzwischen wird mein Brief vom 4.5. bei Dir eingetroffen sein. Ich kann mir Deine Enttäuschung darüber sehr gut vorstellen. Da schreibst Du, trotz Deiner vielen Aktivitäten, einen 10 Seiten (in Worten: zehn!) langen Brief mit akribischen Einzelheiten über Tagesabläufe, Kirchenbesuche, Verwandtenbesuche, Ostergeschichten u.a., und ich gehe in meinem Brief auf kaum eine Geschichte ein. Ich hatte wohl einen schlechten Tag. Es könnte aber auch sein, daß ich die Maxime nicht beachtet habe: "Vor der Inbetriebnahme des Mundwerkes (hier: des Tintenkulis), Gehirn einschalten". Was soll ich - in meinem Alter - noch einschalten? Die meisten Gehirnzellen sind doch schon abgestorben.

Aber im Ernst, ich habe mir, nachdem mein Brief - leider - schon im Postkasten war, noch einmal Deinen Brief durchgelesen und Deine Bilder angeschaut. Da wurde mir mein Versäumnis klar. Ich habe Dir doch im Brief gesagt, daß mir das Bild mit Deinem zukünftigen Hobbyraum und dem vielen Grün am besten gefällt, warum? Schon sehr lange ist (war) es mein heimlicher Wunsch (davon weiß niemand), einmal so viel Geld zu haben, um mir so ein Stück "grünes Land" kaufen zu können. Hier wollte ich dann ein Biotop anlegen. Gedacht habe ich an einen grösseren Teich, von einem Bach durchflossen, in dem es nach kurzer Zeit nur so von Leben "wimmeln" würde. Wäre doch schön, abends die Frösche quaken zu hören, oder? Doch leider werden Träume nur selten wahr.

Doch nun zu Deinem Brief. Bevor ich die Einzelheiten anspreche, möchte ich Dir sagen, was mir am besten gefallen hat. Das ist die Geschichte vom Stoffeinkauf mit Sis. "Es war sehr lustig, wie wir uns über Stoff und Muster gestritten haben ...". Das zeigt mir (und freut mich sehr), daß Du ein gutes Verhältnis zu Deiner Schwiegermutter hast. Ähnlich war es bei mir, auch ich kam mit meiner Schwiegermutter prima zurecht und ich weiß, sie mochte mich auch. Bei Dir wird es auch so sein. (Was soll eigentlich der Quatsch von der "bösen Schwiegermutter"?)

Nun habe ich ja schon in meinem oben angeführten Brief auf Deine erstaunlichen Fähigkeiten bezüglich Mörtelentfernung, Tapezieren, Möbelbeziehen u.a. hingewiesen. Ganz entschieden weise ich Deine Unterstellung, ich würde darüber frotzeln daß der arme John die von Dir gewalttätig produzierten Wandlöcher wieder füllen muß, zurückweisen. Ich habe nie, niemals, die Absicht gehabt, so etwas zu tun. Das wäre mir nicht mal im Traum eingefallen weil ich der Meinung bin, daß, wer so ein gewalttätiges Weib heiratet, für die Folgen derer Untaten einstehen muß. Also ist es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die Löcher wieder zu füllen. Warum sollte ich ihn bedauern?

Unverständlich finde ich Deine Schilderung eines Sonntags. Du kochst ein Riesenessen, John hilft in der Sonntagsschule, Elizabeth bringt Sam dahin. Die beiden gehen dann Sis besuchen während John sich hier zu Hause nützlich macht (aufräumen, staubsaugen usw). Staubsaugen am Sonntag? Mir sträuben sich die letzten Haare! Eine Klage beim Ordnungsamt wäre Euch sicher! Wie heißt es so schön: "Sechs Tage sollst Du arbeiten, am siebenten sollst Du ruh'n!? Kannst Du Deinem Mann nicht die Sonntagsruhe gönnen? Eines Tages kommt die Quittung in Form von Widerspenstigkeit und Arbeitsverweigerung, wart's nur ab!

Wie alt ist Samuel? Es ist schon erstaunlich, wie er sich mit Dinosauriern auskennt. Von einem Velociraptor habe ich schon gehört, begegnet bin ich aber noch keinem.

Sis zuhören und zur gleichen Zeit an uns schreiben - das geht nicht. Es ist gut, daß Du das eingesehen hast. Man kann sich schlecht gleichzeitig auf zwei Dinge konzentrieren und dem Gesprächspartner gegenüber ist das ungehörig/unhöflich.

Auf die "fromme Helene" will ich nicht näher eingehen. Ich warte erstmal John's Kommentar dazu ab. Daran geglaubt habe ich ohnehin nicht.

Was mich interessiert sind die Geheimnisse des Eierkullerns und Eiertippens. Was ist das? Wie geht das? Woher kennst Du das? Mir ist es unbekannt, kläre mich bitte auf.

Noch eine Herzensangelegenheit: Praktisch in jedem Brief (ganz besonders im 10-Seiten-Superbrief) wirfst Du mit Namen so um Dich. Das ist verständlich, Du kennst die Personen, die Namen sind Dir geläufig. Wir haben aber unsere Probleme damit, immer noch. (Siehe oben, abgestorbene Gehirnzellen!) Darum habe ich so eine Art "Ahnentafel" entworfen (siehe Anlage). Ich habe darin unser "Wissen" dokumentiert. Sei so gut und berichtige, verbessere und ergänze meine Eintragungen und schicke mir das vervollständigte "Werk" zurück. Dann haben wir bessere Möglichkeiten der Zuordnung und vielleicht - eines Tages, falls wir noch leben - wissen wir dann ohne "Ahnentafel", daß zum Beispiel Eileen und Harry die Schwiegereltern von Carl sind.

Ansonsten - toi, toi, toi - mit Hilde scheint es aufwärts zu gehen. Sie braucht wohl mal einen Stupser für einen Spaziergang, aber sie gibt sich selber viel Mühe um wieder richtig auf die Beine zu kommen.
Euch wünschen wir alles Gute, bleibt gesund, haltet weiter zueinander und - genießt das Leben, es ist so kurz.
Herzliche Grüße von uns an Euch. Helmut. *)
*) Das ist symbolisch, ich bin nicht größer!

PS: Dies ist die vorläufig letzte schriftliche Nachricht an Dich. Erst wenn ich das Geburtsdatum von John kenne, kannst Du wieder mit Post von mir rechnen. Basta!

12. Mai 1998
(Anm.:mit "Mehrjährige Wildblumen Karte" - über 200 Samen wild vorkommender Blumen sind in das handgemachte Papier dieser Grußkarte eingearbeitet.)

1. Diesen "Blumenstrauß" habe ich u.a. von Ursula/Jochen zu meinem Geburtstag geschenkt bekommen.
Weil unser "Garten" sehr klein ist und ich weiß, daß Traudel für Experimente ein Faible hat, und weil Ihr einen großen Garten habt - wie wär's mit einem Versuch? Mein Drittel habe ich am 12. 5. 98, also heute, eingepflanzt.

2. Ps. In unserem "Garen" hat ein Meisenpärchen Junge und füttert sie fleißig. Eine Amsel hat ihr Nest in einem Blumenkasten gebaut und auch schon ein Ei gelegt.

18. Mai 1998

3. Es zeigt sich noch nichts Grünes von meinem eingepflanzten Drittel. Die jungen Meisen haben inzwischen ihr Nest verlassen. Wir haben nichts gemerkt, sie haben sich nicht verabschiedet.
Die Amsel hat inzwischen weitere Eier gelegt, es sind jetzt insgesamt 5. Wir fragen uns, wie sie 5 Junge in dem kleinen Nest unterbringen will.

20. Mai 1998

4. Noch nichts Grünes von meinem eingepflanzten Drittel. Ich habe aber immer fleißig gegossen.
Die Amsel brütet fleißig. Wegen der warmen Witterung (seit 14 Tagen Temperaturen von 24 - 33 Grad!) haben wir ihr eine Wasser schale hingestellt (die immer wieder mit frischem Wasser gefüllt wird), die sie dankbar angenommen hat.

24. Mai 1998

5. Das Wetter ist umgeschlagen, es ist empfindlich kalt geworden. Heute waren es nur 12 - 14 Grad, dazu Regen.
Die Amsel brütet noch fleissig.
Meine "Pflanzung" scheint erfolgreich zu sein.
Es zeigt sich überall viel Grün. Ich hoffe, daß es nicht nur Unkraut ist.

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