Herne, den 3. Juni 1999
(Dieser Brief war auf braunem Packpapier geschrieben)

Liebe Traudel!
Herzlichen Dank für Deinen Brief vom 6.5. und für die Geburtstagskarte. Da unser Urlaub nun - leider - vorüber ist muß ich mich daran machen liegengebliebene Verpflichtungen zu erledigen. Ich werde Ursula die Artikel v. Kandinsky (leider habe ich es letzten Sonntag vergessen, als sie nach unserer Rückkehr den Vogel und Blumen und viel Futter für den Vogel brachte) bei nächster Gelegenheit geben.

Lange habe ich überlegt, wie ich Dich mit einer anderen Form Briefpapier überraschen könnte. Ich hatte an eine Rolle (etwa Klorolle) Schreibpapier gedacht oder auch an eine Art Liparello-Schreibpapier. Beides habe ich nicht gefunden. Nun bin ich nicht in Deiner glücklichen Lage einen Menschen (wie John) zu haben, der mir ein Riesenplakat besorgt, das man rückseitig beschreiben kann. Dann noch zu behaupten, es wäre ja nur eine Seite ist unfair, infam, gemein und der Geschwisterliebe sehr, sehr abträglich. Wenn ich auch so gemein wäre, würde ich Euch millionenfachen Schneckenbefall und eine Riesenmenge Karnickel wünschen die Euch alles Gemüse wegfressen würden. Aber das tue ich - selbstverständlich - nicht. Das wäre unter meiner Würde! So einer bin ich nicht! Im Gegenteil, ich wünsche Euch (auch wenn es mir schwer fällt), daß Ihr der Schneckenplage Herr werdet und daß Euch die Karnickel noch etwas vom Salat übrig lassen. Das nennt man bei uns Großmütigkeit!

Du hast Recht, Ursula war über das Bild DIVISION-UNITÉ "aus dem Häuschen". Leider gibt es hierbei für mich einen Wermutstropfen. Nachdem ich sie ernsthaft befragt hatte, ob ihre Glückszahl weiterhin 7 sei (was sie bestätigte) sagte ich ihr, daß sie ja nun zufrieden sein könnte, denn sie hat ja nun ihre "7 Kandinskys". Da sie aber ein "Luderstück" (besser, "Miststück") ist, meinte sie, du dönntest doch eigentlich noch einige kleinere Bilder malen! Sie hat sogar, als sie vor unserem Urlaub den Vogel holte, das von mir geschenkte Kandinsky-Buch mitgebracht, damit ich mir Bilder aussuchen kann! Nun stehe ich da mit meinem Zweifel? Soll ich, soll ich nicht? Bei Durchsicht des Buches gefielen mir lediglich die Bilder, die ich schon gemalt habe, bis auf eines. Ich könnte mir vorstellen (Du sicher auch), daß ich es noch einmal probieren werde. Mann, bin ich blöd! Andererseits ist so etwas ein schöner "Lückenfüller" (Zeitfüller), denn immer nur sture Hausarbeit ist langweilig.

Apropos Hausarbeit. Die meisten (körperlich anstrengenden) Hausarbeiten mache ich weiterhin. Hilde kann, so gern sie es möchte, solche Dinge wie Fensterputzen, Gardinen waschen (ab~ und aufhängen), wischen mit auswringen des Aufnehmers einfach nicht mehr schaffen. Sie hat nicht die Kraft dazu. Selbst das Öffnen von Gurken~ oder Obstgläsern ist ihr nicht möglich. Wenn z. B. Ursula (wie Sonntag) bei uns war, sich Selterwasser geholt und die Flasche wieder verschlossen hat, ist Hilde nicht in der Lage, diese Flasche später zu öffnen. Entweder hat Ursula zu viel Kraft oder Hilde zu wenig. 10 Tage vor unserem Urlaub brach ihr beim Frühstück ein Zahn ab. Dieser mußte "ausgegraben" werden. Bei der Behandlung stellte die Zahnärztin fest, daß ein weiterer Zahn gezogen werden mußte. Auch diese Wurzel mußte "ausgegraben" werden. Ihr Zahnersatzteil wurde für den Urlaub provisorisch hergerichtet und ihr "droht" nun eine grundlegende Gebißregulierung. Seit ihrem letzten Krankenhausaufenthalt im Februar 1998 war sie nicht einmal allein auf der Straße. Sie fühlt sich unsicher. Ich begleite sie zum Arzt, Zahnarzt, Augenarzt. Mal gehen wir gemeinsam einkaufen, meistens gehe ich allein. Im Urlaub bemühte sie sich ständig, alleine zu gehen. Das ging dann eine Weile gut, bis sie sich dann doch wieder bei mir "einhakte". Ansonsten geht es ihr gut, die Zuckerwerte sind normal und Rheumabeschwerden hat sie (toi, toi, toi) kaum noch. Wenn wir unterwegs Bekannte treffen heißt es immer wieder: Sie sehen aber gut aus (was tatsächlich stimmt, und man sieht ihr das Alter nicht an) (ich könnte sagen, dank meiner Pflege, sage ich aber nicht), wie es aber innen aussieht, sieht niemand. Hoffen wir also, daß sie sich noch weiterhin einige Jahre so gut hält, ich drücke alle Daumen.

Unser Urlaub - diesmal waren wir vom Wetter begünstigt, meistens Sonnenschein, nur die Pfingsttage waren mies (was ich gemeinerweise den Kurzurlaubern gönne, die zu Pfingsten die Insel überschwemmen), kein Regen, und kurioserweise fuhren wir am Sonntag im Regen ab. Wir fahren ja mit dem Auto (540 Km, dann Autozug von Niebüll nach Westerland), weil man es dann mit dem Gepäck leichter hat, man kann mehr mitnehmen als man eigentlich braucht, und man hat mit dem Auto die Möglichkeit, Touren auf der Insel zu unternehmen. Letzteres machen wir seit einigen Jahren nicht mehr.
Wir waren jetzt zum 28. mal auf der Insel, haben in den ersten Jahren alles per Auto erkundet, nun machen wir nur noch kurze Spaziergänge zum und am Strand und faulenzen hauptsächlich. Die Hinfahrt war diesmal problemlos. Wir fuhren früh los (6 Uhr), Frühstückten unterwegs, wenig Verkehr und wir kamen gut an. Die Rückfahrt war schlimm, viele Autos, LKW, Campingwagen und Motorräder. Viele Fahrer rücksichtslos, da macht das Autofahren keinen Spaß mehr. Hinzu kommt, daß ich ja immer älter werde, die Sehkraft und das Reaktionsvermögen lassen nach. Darum überlegen wir, wenn wir im nächsten Jahr noch fit sind, noch leben, evtl. mit der Bahn zu fahren. Wir haben das in den ersten "Syltjahren" ja auch gemacht, das ging ganz gut. Da wir das Auto auf Sylt nur zum Tanken für die Heimfahrt gebrauchen, bietet sich so eine Lösung an. Es gibt zwar Probleme mit den Koffern, man kann nicht Bekleidung unbegrenzt mitnehmen, aber ich glaube, das bekommen wir geregelt.

So, Mrs. Towers, das wäre es für heute. Ich bin sicher, daß mein Brief dem Deinem in der Länge nicht nachsteht, im Gegenteil, er ist etwas länger weil ich kleiner geschrieben habe (d.h. meine Schrift ist kleiner, die Worte sind nicht so auseinandergezogen wie bei Dir). Zwar sind es zwei Blätter, aber aneinander geklebt ergibt es eine Seite.

Herzliche Grüße an Euch von Hilde und mir. Bleibt gesund und laßt gelegentlich (möglichst vor Weihnachten) etwas von Euch hören. Helmut.

------------

<<  Letzter Brief

Briefe Übersicht

Nächster Brief  >>